Porträt Daniel Strauß will Sinti und Roma zeitgemäßer vertreten und fordert Teilhabe vom mächtigen Zentralrat
der Freitag-Artikel vom 09. März 2023
Als Jugendlicher wurde er mit Antiziganismus konfrontiert. Der Anlass, eine Alternative zum Zentralrat zu gründen, war der Umgang mit dem Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma
Mich interessiert mehr das, was noch zu tun ist, als das, was bereits geschafft ist“, sagt Daniel Strauß nüchtern. So kann man sein Licht auch unter den Scheffel stellen. Der 57-jährige Sinto und Bürgerrechtler ist ein Macher, ein Mann der stillen Töne, aber streitbar. Seit 1995 leitet er den Landesverband Sinti und Roma Baden-Württemberg. Strauß stammt
aus einer Schaustellerfamilie. Weil man in der Saison monatelang auf Reisen war, besuchte er 200 Schulen – eine permanente Anpassungsleistung. Als Jugendlicher erlebte er einen prägenden Zwischenfall. Sein Onkel, ein Auschwitz-Überlebender, durfte einen Campingplatz nicht betreten: „Für Zigeuner und Landfahrer verboten, Hunde dürfen an der Leine geführt werden“ stand auf dem Schild. Das war die Initialzündung – Daniel Strauß begleitete seine Brüder Adam und Romano Strauß fortan zu Veranstaltungen der Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma. „Warum gibt es diese Vorurteile, wer profitiert vom Antiziganismus, und was bewirkt er bei den Betroffenen? Das sind Fragen, die mich fortwährend beschäftigen“, sagt Strauß.
Nach seinem Schulabschluss qualifizierte er sich zum Wertgutachter für Immobilien, wurde selbstständig. Wegen seines bürgerrechtlichen Engagements wurde er mit 18 Jahren zum Vorstandsmitglied des hessischen Landesverbands der Sinti und Roma gewählt. Mit 30 trat der Vater dreier Kinder zudem dem Vorstand des Zentralrats der Sinti und Roma bei, dem Romani Rose seit mittlerweile über 40 Jahren vorsitzt.
Daniel Strauß steht nicht still. 2013 war er mit seinem Verband federführend daran beteiligt, mit Baden-Württemberg einen zukunftsweisenden Staatsvertrag zu unterzeichnen. Dieser stellt die Beziehung des Landes zu der Minderheit auf eine gesetzliche Grundlage und bindet Sinti und Roma aktiv in die politische Arbeit ein. 2015 erhielt er Baden-Württembergs Verdienstorden.
Bildungsprogramme haben für ihn Priorität. 2012 begleitete er die erste von der Minderheit selbst initiierte Bildungsstudie. „Ich selbst konnte nicht studieren“, sagt er. „Mein Vater war Analphabet, meine Mutter besuchte nur wenige Schulklassen.“ Die Ursachen liegen in der Vergangenheit: Heinz, sein überlebte zwar Auschwitz, Buchenwald und Zwangsarbeit in Mittelbau-Dora, wo die SS ihn krankenhausreif prügelte. Er verlor jedoch seine Mutter, vier Geschwister sowie viele weitere Verwandte. Die Nationalsozialisten ermordeten eine halbe Million Sinti und Roma. In Deutschland wurde der Völkermord erst 1982 offiziell anerkannt. Strauß’ Mutter Maria überlebte das Zwangslager Frankfurt-Dieselstraße. Beide Eltern waren für den Rest ihres Lebens gezeichnet, ihrer Kindheit und Jugend beraubt. Als Daniel Strauß im Alter von 16 Jahren erstmals Auschwitz besuchte, traf ihn die Geschichte mit einer Wucht, von der er sich lang nicht erholte. Es war der Moment, in dem er entschied, Verantwortung zu übernehmen. „Wir sind die Träger von Todesängsten“, sagte er am 75. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma aus Baden-Württemberg.
Es liegt wohl am unterschiedlichen Umgang mit der Erinnerung, dass Strauß 2021 mit seinen Mitstreiter:innen die Bundesvereinigung der Sinti und Roma (BVSR) gründete – heute neben dem Zentralrat der Sinti und Roma der größte Zusammenschluss in Deutschland. Auslöser waren die Baupläne der Deutschen Bahn für eine S-Bahn-Trasse. Das Projekt würde das 2012 eingeweihte Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma schädigen. Europaweit ist es der Ort, an dem Sinti und Roma ihrer Angehörigen gedenken; es anzutasten wäre für die meisten ein Sakrileg. Der Architekt des Mahnmals, der israelische Künstler Dani Karavan, war außer sich vor Empörung. Der Zentralratsvorsitzende Romani Rose indes zeigte sich kompromissbereit. Eine Haltung gegen die S-Bahn-Trasse sei unverantwortlich und richte sich am Ende gegen die Minderheit selbst, erklärte er. In Gesprächen mit den Beteiligten nannte er als Verhandlungsmasse ein „Kompensationszentrum“, ähnlich dem „Ort der Information“ unter dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Die neue Bundesvereinigung tritt für die völlige Unversehrtheit des Mahnmals ein. Für den Zentralrat war deren Gründung der Anlass, Strauß aus dem Vorstand auszuschließen – rechtlich fragwürdig für einen gemeinnützigen Verein. Offenbar wird die BVSR als Konkurrenz empfunden. Rose kündigte jegliche Kooperation auf, sogar mit dem Baden-Württemberger Landesverband, ungeachtet des Staatsvertrags und der damit verbundenen Aufgaben. Die Vertreter des BVSR empfinden ihren Zusammenschluss hingegen als Ergänzung. Sie wollen die Heterogenität der Minderheit abbilden und neue, progressive Wege beschreiten: demokratisch, nicht hierarchisch und genderbewusst.
Jetzt gaben sie eine Erklärung heraus, in der sie sich gegen Romani Roses Unterschrift zum umstrittenen „Manifest für Frieden“ wenden. Der Zentralratsvorsitzende vertrete lediglich seine private Meinung und spreche nicht für alle Sinti und Roma. „Spätestens als Björn Höcke die Initiative von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer für die Zwecke der AfD vereinnahmte, hätte Herr Rose sich distanzieren müssen“, sagt Daniel Strauß. Die Geschichte der Sinti und Roma, ihre Toten des Porajmos geböten es, niemals im Einklang mit Rechtsextremisten zu agieren. Im Übrigen könnten die Roma aus der Ukraine gut für sich selbst sprechen. Strauß weiß das, vergangenen Sommer hat er sich in der Ukraine selbst ein Bild gemacht (der Freitag 33/2022). Hinter seinen Brillengläsern blitzen wache Augen, ernst. Es gibt noch zu viel zu tun.
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